Sutjeska Nationalpark

Von nervenaufreibenden Offroad-Abenteuern und spektakulären Bergerlebnissen

Aus den grünen Bergen südlich von Konjic sollte es also nun weitergehen in die richtig hohen Berge des Sutjeska Nationakparks ganz im Südosten des Landes nahe der Grenze zu Montenegro. Auf dieser Fahrt durften wir dann erstmals am eigenen Leib erfahren, was der Reiseführer damit meinte, auf Google Maps sei in Bosnien und Herzegowina nur bedingt Verlass. Google Maps prognostizierte, wir würden auf dem kürzesten Weg etwa zwei Stunden in den Sutjeska Nationalpark brauchen. Wir hatten lange überlegt, welche Route wohl gut wäre und wollten uns über die R435 Richtung Süden bewegen. Da wären wir dann auch noch an einem großen Supermarkt vorbeigekommen, was vor einem Aufenthalt in den Bergen ja durchaus praktisch gewesen wäre, um unsere Vorräte (und den Inhalt unserer eigens für diesen Urlaub neu angeschafften strombetriebenen Kühlbox) aufzustocken. Dieser Plan scheiterte allerdings bereits nach wenigen Minuten, da die entsprechende Straße ohne Allradauto wegen zu tiefer Furchen sichtbar nicht befahrbar gewesen wäre. Wir sind also umgedreht, haben unsere Vorräte soweit wie möglich im Tante-Emma-Laden in Glavatičevo ergänzt und uns über die R436 in Richtung Osten auf den Weg gemacht. Wir wähnten uns auf einer sicheren Route, schließlich war die gleichnamige Straße von Konjic bis Glavatičevo geteert und zweispurig gewesen. Erstmal war auch alles gut, dann endete allerdings nach etwa einer halben Stunde der Teer und die Straße wurde konstant schwieriger befahrbar. Besonders als wir riesigen Felsbrocken auf der Piste ausweichen mussten, vor einer mehr als rustikal aussehenden Brücke über eine tiefe Schlucht standen und als der Weg bergauf dann schließlich keine Schotterpiste mehr war, sondern eine aus größeren Felsen bestehende Rinne, war ich einem Nervenzusammenbruch mindestens nahe. Die Blicke, die uns die wenigen Allradfahrzeugfahrer, die unserem kleinen Skoda entgegenkamen, zugeworfen haben, waren auch eher ungläubig. Aber Martin hat es irgendwie geschafft unser Auto und uns da halbwegs unbeschadet hindurchzubekommen und nach etwa zwei Stunden waren wir mehr als froh, wieder Teer unter den Reifen zu haben.

Erstmals seit unserem Reisestart waren wir damit auch nicht mehr in der Föderation Bosnien und Herzegowina (mehrheitlich bewohnt von muslimischen Bosniaken und zu einem kleineren Anteil von katholischen Kroaten), sondern in der Republik Srpska (mehrheitlich bewohnt von orthodoxen Serben). Bosnien und Herzegowina besteht nämlich aus zwei Entitäten, deren Verhältnis mehr als angespannt ist. Tatsächlich wäre die Republik Srpska gerne unabhängig und droht ihre Abspaltung auch schon seit mehreren Jahren an. Dass wir nun in Srpska waren, merkte man sofort an der kyrillischen Schrift und dem Fehlen von Moscheen und dafür Vorhandensein orthodoxer Kirchen. In dem kleinen Ort Kalinovik, in dem wir tanken waren, empfing uns außerdem ein monumentales Mahnmal, was ebenfalls typisch für Srpska ist. Außerdem stand am Straßenrand eine große Tafel, auf deren einer Seite das Konterfei von Ratko Mladić (verantwortlich für das Massaker von Srebrenica und verurteilter Kriegsverbrecher) und auf der anderen Seite das von Slobodan Milošević (ehemaliger Präsident Serbiens und angeklagt wegen Völkermords) abgebildet war. Sicherlich gab es Verbrechen und Verletzungen auf beiden Seiten, aber wenn man sich vor Augen führt, dass Srebrenica nur 200 Kilometer entfernt ist und es keine 30 Jahre her ist, dass dort 8000 Bosniaken durch serbische Truppen ermordet worden sind, und dass deren Angehörige ja auch weiterhin in Bosnien und Herzegowina leben, dann ist das schon als Außenstehender recht schwer auszuhalten. Eine Aussöhnung dieses immer noch schwer gespaltenen Landes scheint da kaum vorstellbar.

Für uns ging es weiter Richtung Süden. Wir hatten einen längeren und einen kürzeren Weg zur Auswahl und nachdem die Straße zunächst in beide Richtung gleich gut aussah, haben wir uns für den kürzeren über die R434 entschieden. Das Déjà-vu kam nach kurzer Zeit als sich die Teerstraße erneut in eine Schotterpiste verwandelte und uns tief in die Berge führte. Größtenteils war es okay befahrbar, aber es gab auch kritische felsige Stellen und man weiß ja einfach währenddessen nicht, ob man es schaffen wird. Und man kann sich ja schönere Situationen vorstellen als irgendwo im Nirgendwo mit 25 Kilometern unbewohntem Gebiet zu beiden Seiten und ohne Handyempfang mit dem Auto liegen zu bleiben oder einen geplatzten Reifen zu haben – zumal mit zwei Kindern auf der Rückbank. Nicht unbedingt eine Sternstunde verantwortlicher Elternschaft, dieser Tag. Ich habe innerlich also viel geflucht, dass wir es tatsächlich geschafft hatten, uns zum zweiten Mal an einem Tag in die gleiche Situation zu bringen und unser Glück herauszufordern. Aber das Glück war uns auch bei diesem zweiten Abenteuer hold. Und die Kinder haben wohl unsere Anspannung gespürt und waren unheimlich brav. Gesehen haben wir spektakuläre Landschaften – es war quasi eine Hochalpinwanderung mit dem Auto. Während der besseren Abschnitte der Piste waren wir hin und weg vom Aussichtspanorama nach allen Seiten. Trotzdem würde ich jetzt nicht unbedingt dazu raten, das nachzumachen – wären wir zurück nach Sarajevo und dann über die Hauptstraße gefahren, hätten wir dreieinhalb Stunden gebraucht.

So hatten wir es dann nach fünfeinhalb Stunden geschafft und die letzten vier Kilometer hoch zum Mountain Camp Izgori, vor denen wir uns vorab ein bisschen gefürchtet hatten, konnten uns nur noch ein müdes Lächeln entlocken. Martin ist jetzt sowieso der Meinung, die Strecke, die unser Auto nicht befahren könne, gebe es quasi nicht. Wir sind also müde, aber glücklich in unsere Hütte eingezogen. Die ist sehr komfortabel mit einem Wohnzimmer und einem Bad unten und fünf Betten im Obergeschoss. Und sie liegt spektakulär. Das Camp besteht aus fünf Hütten, einem Restaurant, in dem es jeden Abend genau ein Essen gibt, einer Trinkwasserquelle und einem Fußballplatz und ist umrahmt von hohen Bergen. Sowohl den Kindern als auch uns gefällt es ausnehmend gut hier.

Den ersten Tag sind wir dann auch einfach im Camp geblieben. Vormittags wurde gelesen und gekickt und gegen Mittag haben wir uns dann vom Campbetreiber eine mögliche Wanderung erklären lassen. Die startete direkt vom Camp aus und führte an der Quelle vorbei auf einen Bergrücken, von dem aus man nach Montenegro schauen konnte. Weiter hinauf ginge es auf einen wirklich hohen Gipfel (den Bdanaj), für uns mit den Kindern aber über Wiesen wieder hinunter und dann über die Schotterstraße zurück zum Camp. Dreieinhalb Stunden waren wir unterwegs, was beide Kinder trotz großer Hitze gut mitgemacht haben (und anschließend anders als wir noch die Energie zum Fußballspielen hatten). Der Ausblick in alle Richtungen war überwältigend und es ist ein wirkliches Privileg in einer solchen Landschaft unterwegs sein zu können und dabei absolut niemandem sonst zu begegnen.

Am nächsten Tag wollten wir uns an eine Wanderung wagen, die unser Wanderführer empfohlen hatte – explizit auch für Kinder. Dabei sollte es vom Wanderschild Kovačev Panj direkt von der M20 bergauf zum Bergsee Donje Bare gehen, in dem man auch hätte baden können. Wir hatten schon eingeplant, die auf fünfeinhalb Stunden veranschlagte Wanderung vielleicht nicht ganz zu schaffen, aber tatsächlich waren wir deutlich langsamer als im Wanderführer beschrieben. Der Weg war schön und abenteuerlich und führte durch einen dichten, dschungeligen Buchenwald. Er war aber auch extrem steil und nach zweieinhalb Stunden hatten wir grade einmal die Hälfte des Hinwegs geschafft. Die Entscheidung, ob wir noch weitergehen sollten, nahm uns dann die Entdeckung mehrerer am Wegrand schwelender Feuer im Wald ab. Es war keine wirklich bedrohliche Situation, aber natürlich ist es nicht gerade beruhigend komplett alleine in einem Wald zu stehen, in dem es brennt und Jonathan, der vor kurzem eine dramatische Folge der „Teufelskicker“ zu einem Waldbrand angehört hatte, war sofort in heller Panik. Martin hat die größeren Flammen mit unserem Wasser gelöscht und wir haben per Handy unserem Campbetreiber den Standort durchgegeben. Der fand das aber nicht weiter besorgniserregend und meinte, das seien die letzten Glutnester eines Feuers, das in der Gegend schon alles Brennbare abgebrannt habe. Wir haben uns trotzdem auf den Rückweg gemacht und auch einige Zeit gebraucht bis wir Jonathan wieder halbwegs beruhigt bekommen hatten. Insgesamt war es eine schöne Wanderung, aber ein bisschen traurig, dass wir für unsere Aufstiegsmühen nicht mit dem versprochenen Panoramablick auf die Berge belohnt wurden, der wohl kurz nach der Waldbrandstelle gekommen wäre. Nach viereinhalb Stunden waren wir wieder beim Auto.

Mit dem Auto ging es dann noch ein paar Kilometer weiter Richtung Tjentište zum Denkmal für die Schlacht an der Sutjeska, bei der jugoslawische Partisanen 1943 gegen Nazi-Deutschland / die Achsenmächte im Kampf bestehen konnten. Der erfolgreiche Widerstand gegen die zahlenmäßig überlegenen Achsenmächte, an dem Tito als einer der Anführer der Partisanen mitgewirkt hatte, war einer der Gründungsmythen Jugoslawiens und wurde deshalb in den 1970er Jahren mit einer monumentalen Betonskulptur verewigt. Die steht da nun immer noch in den Bergen herum. Man muss über 150 Stufen erklimmen und sieht sie dann in ihrer ganzen Pracht vor dem Bergpanorama. Danach waren wir dann endgültig auf der Suche nach Abkühlung und nachdem wir es ja nicht zum Bergsee geschafft hatten, wollten wir wenigstens in die Sutjeska. Dafür sind wir zur „Recreation Area“ von Tjentište gefahren. Das ist ein etwas seltsames stillgelegtes freibadartiges Gelände, in dem sich ein riesiges Wasserbassin befindet, in dem sich den Google-Rezensionen zu Folge ab und an Wasser befindet und ab und an nicht. An diesem Tag war es in Teilen befüllt und es war nicht ganz klar, ob Baden darin vorgesehen war oder nicht. Ein zerrissenes Polizeiabsperrband am Eingang zur „Recreation Area“ machte es irgendwie nicht vertrauenserweckender. Nachdem aber einige andere Leute baden waren und uns wirklich sehr heiß war, sind die Kinder und ich auch über die Leitern in das zu vielleicht einem Viertel gefüllte Becken geklettert. Danach waren wir noch an der direkt nebenan gelegenen Sutjeska und haben auch da nochmal geplanscht und Staudämme gebaut.

Und das war es dann auch schon mit unserer Zeit in den Bergen. Insgesamt alles etwas abenteuerlicher als gedacht, aber auch wunderschön. Das Camp war ein wirklicher Glücksgriff und da abends unter dem Sternenhimmel zu sitzen und morgens die Sonne über den Berggipfeln aufsteigen zu sehen schon ein echtes Erlebnis. Morgen geht es zurück in die Zivilisation – nach Blagaj südlich von Mostar.

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